Viele der alten Bräuche, beispielsweise zu Weihnachten (bis heute das wichtigste Familienfest in Polen) oder Ostern, werden streng befolgt, sei es bei den Kaschuben, den Masuren, den Goralen oder den Schlesiern. In einigen Gegenden, zum Beispiel den Gebirgsregionen wie dem Riesengebirge oder der Hohen Tatra oder in Masuren, fühlt man sich zuweilen um Jahrhunderte zurückversetzt. Die Bewohner dieser Gegenden halten sich nur all zu gern an die Hochzeitsrituale ihrer Vorfahren, servieren zum Fastenessen am Heiligabend fleischlose Gerichte, schlachten zum Osterfest Lämmer. Obwohl das Christentum mit seinen spezifischen Regeln ab dem 11. Jahrhundert massiv in Polen Einzug hielt, ist den damaligen und auch späteren Herrschern nie gelungen, die heidnischen Sitten und Gebräuche völlig zu verdrängen. In vielen Fällen vermischten sich christliche und heidnische Traditionen im Laufe der Jahrhunderte, was auch bei den beiden wichtigsten christlichen Festen spürbar wird, die in Polen willkommene Gelegenheit zu einem kulinarischen Kräftemessen bieten. Neben dem Ostersonntagsmahl ist das Fastenessen am Heiligen Abend von vorrangiger Bedeutung.
Am 24. Dezember, sobald der erste Stern am Himmel steht, versammeln sich polnische Familien im Lichterglanz der Weihnachtskerzen um den Esstisch. In vielen Häusern, insbesondere auf dem Land, wird entweder unter dem Tisch Heu ausgebreitet oder in der östlichen Zimmerecke eine Heugarbe aufgerichtet. Dies soll die Ernte des folgenden Jahres symbolisieren und die Zukunft günstig beeinflussen. Jeder Gast zieht ein Halm; die Länge der gezogenen Halme zeigt an, ob eine schwere, aber erfüllte Zeit oder ein erfolgreiches, friedliches Jahr ohne schwer wiegende Zwischenfälle bevorsteht.
Das Festmahl, paradoxerweise Fastenessen genannt, besteht aus zwölf Gängen. Alten Legenden zufolge steht jeder Gang für einen Apostel. Bevor es jedoch beginnen kann, wünschen sich alle Beteiligten gegenseitig ein frohes Weihnachtsfest. Unter Gästen und Familienmitgliedern wird zum Zeichen der Versöhnung eine Oblate verteilt. Man vergibt einander die bösen und harten Worte, die im Laufe des Jahres gefallen sein mögen. Der Toten wird ebenfalls gedacht.
Ein zusätzliches Gedeck steht auf dem Tisch und auch auf diesem Teller liegt ein Stück der Oblate. Das soll bedeuten, dass der Verstorbene im Geiste an dem Friedensmahl teilnimmt und nicht vergessen ist.
Ein weiteres Gedeck liegt bereit für jemanden, der möglicherweise noch gar nicht mit am Tisch sitzt: Die Tür steht immer offen für einen fremden Gast. Oft wird auch von vornherein ein einsamer Mensch zum Festmahl eingeladen. Zu keiner anderen Zeit manifestiert sich die sprichwörtliche polnische Gastfreundschaft so wie am Heiligen Abend. Niemand soll ihn allein verbringen müssen.
Zwar setzt sich die weihnachtliche Mahlzeit in vielen ländlichen Gegenden nach wie vor aus den seit Generationen überlieferten Gerichten zusammen, doch in den Städten fällt sie häufig weniger aufwändig aus. Eine Weihnachtstafel nach altpolnischer Art ist in der Tat sehr vielfältig.
Sie besteht beispielsweise aus Barszcz mit Öhrchen sowie einer Pilz- oder Fischsuppe, gefolgt von verschiedenen Fischgerichten. Weiter gibt es Pilzgerichte, sowie Kohl und Erbsen, die als traditionelles Weihnachtsgemüse gelten. Zum Dessert ist man Kompott aus Dörrobst oder Beerenspeisen, danach am liebsten Toruner Pfefferkuchen und einen speziellen Honigkuchen. Getrunken wird Met und Wodka, gelegentlich Wein.
Ein aus dem frühen Mittelalter überlieferter Weihnachtsbrauch ist der alljährlich im Dezember in Kraków stattfindende Wettbewerb um den Bau der schönsten Krippe. Die älteste erhaltene Krippe befindet sich in der im 12. Jahrhundert erbaute Kirche Sw.Andrzeja. Zunächst gruppierten die Schnitzer ausschließlich die Könige aus dem Morgenland und die Heilige Familie um ihre Krippen, später ergänzten sie diese um Figuren aus dem Volk: Bauern, Kaufleute und Soldaten. Von den Weihnachtstagen an bis zum Dreikönigfest ziehen Krippensänger durch die Dörfer und sammeln Gaben. Von Neujahr bis Aschermittwoch feierte man in Polen einstmals - heute noch vereinzelt - ausgiebig und ausgelassen Fastnacht. Der Geselligkeit vermochte man in jenen Wochen wie in sonst keiner Jahreszeit zu frönen. Die Pfarrer kamen nicht zur Ruhe, denn Ehen schlossen die Polen damals am liebsten während der Fastnachtszeit. Eine polnische Hochzeit währte mitunter drei Tage; in ländlichen Gegenden ist es bis heute üblich, zwei bis drei Tage lang mit vielen Gästen Hochzeit zu feiern.
Quelle: Polnisch Kochen - Gerichte und Ihre Geschichte von Magrit Liepe, Verlag Die Werkstatt