Polnische Gastlichkeit

Spontaneität und Herzlichkeit sind polnische Tugenden und zwei Gründe, warum jeder Gast begeistert in das Land zurückkehrt. In keinem Bereich des täglichen Lebens hat sich das Traditionsbewusstsein so lebendig erhalten wie hier.

Tradition der Gastfreundschaft

Im Mittelalter, als die Landgüter Meilen voneinander entfernt waren und es großer Anstrengungen bedurfte, in die nächste Stadt oder auch nur zu einem benachbarten Hof zu kommen, stellte jeder, der ans Eingangstor klopfte, eine Willkommene Abwechslung dar, denn viele Landstriche waren nur spärlich bevölkert und entsprechend einsam.

Emsige Geschäftstätigkeit setzte bei der Ankunft eines Gastes ein. Die Dame des Hauses bereitete mit dem Personal das Essen zu, mehrere Gänge wurden aufgetragen, und wenn der Besuch das Haus wieder verließ, erhielt er als Dank und zur Erinnerung noch ein Geschenk mit auf den Weg.

Auch diese Tradition hat sich bis heute erhalten. Verlässt ein Gast ein polnisches Heim, trägt er nicht selten ein Erinnerungsgeschenk bei sich, vielleicht einen Gegenstand, der während seines Besuchs seine besondere Aufmerksamkeit erregt hat. Nicht nur in den Adelspalästen war diese Gastfreundschaft selbstverständlich. Noch unkomplizierter und herzlicher nahmen die Bauern Gäste auf und bewirteten sie, selbst wenn die Vorratskammern leer waren. Der Garten, der nahe Wald, ein See am Haus und eigene Haustiere boten den Grundstock für einfache, schnell zubereitete herzhafte Speisen.

Ihre Gastfreundschaft ist den Polen nicht abhanden gekommen, obwohl sich die Lebensbedingungen verändert, oft auch verschlechtert haben. Nach dem obligatorischen Begrüßungstrunk verleihen Geselligkeit, Freundlichkeit, üppige Mahlzeiten, intensive Gespräche, polnischer Wodka, Tee und süßes Gebäck auch dem Neuankömmling das Gefühl, nicht zum ersten Mal zu Gast zu sein, und gewiss verspricht er beim Abschied bereitwillig, bald wiederzukommen.

Die polnische Küche in und aus aller Welt

So wie sich die Anzahl der Mahlzeiten, die in den früheren Jahrhunderten lediglich ein- bis zweimal am Tag, dafür jedoch umso ausgiebiger eingenommen wurden, sich den Veränderungen der Lebensgewohnheiten anpasste, haben sich auch die Gerichte verändert. Das Gemüse verdrängte nach und nach die reichhaltigen Fleischmahlzeiten. Aufwändige, schwere Speisen wurden im Laufe der Entwicklung durch Gerichte ersetzt, die sich schnell zubereiten lassen und trotzdem ihrer Geschmacksrichtung - süßsauer und deftig-herzhaft - treu geblieben sind. Die Leckereien, Backwerk und Desserts, haben den Duft der alten polnischen Küche behalten und der Wodka, der seinen Ruhm in alle Welt hinausträgt, fehlt auf keiner Festtafel.

Einige Gerichte der polnischen Küche sind nicht unbekannt, sie werden oft in Europa selbst zubereitet, wie der Karpfen in Biersauce oder die schlesischen Klöße, oder eben bei einem Besuch in Polen probiert, wie beispielsweise der Bigos. Die polnische Küche hat natürlich viel mehr zu bieten als ihre deftig-herzhafte Gerichte. Sie lässt Geschichte kulinarisch erleben - königliche Festmahle im Wawelschloss in Kraków oder im Königsschloss in Warschau, gesellige Bauernrunden in Kaschubien oder bei den Goralen in den Bergen, Kaffee oder Tee in altstädtischen Kaffeehäusern und Met in altpolnischen Weinstuben. Gerichte aus frischen Pilzen lassen die tiefen polnischen Wälder erahnen, Wildgerichte erinnern an die Jagden des Adels, das Beerenobst lässt gesunde Natur fühlen und ein Fischgericht erinnert an die Masurischen Seen.

Die polnische Küche macht neugierig auf ein Land, das mitten in Europa liegt und doch weit entfernt erscheint. Die traditionelle Küche Polens, geprägt durch die Geschichte vergangener Jahrhunderte, lässt Essen und Trinken zu einem deftigen und unvergesslichen Erlebnis werden, denn hinter den schmackhaften polnischen Gerichten verbirgt sich das Gefühl, kulinarisch vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart und quer durch Europa gereist zu sein, ohne das gegenwärtige Polen - von der Vorspeise bis zum Dessert - auch nur einen Augenblick verlassen zu haben.

Quelle: Polnisch Kochen - Gerichte und Ihre Geschichte von Magrit Liepe, Verlag Die Werkstatt

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